Anfang vorletzten Jahres bekam ich völlig überraschend die Diagnose Gebärmutterkrebs.
Ich, gerade mal Mitte 50, eigentlich gesund und sportlich, alleinstehend. Mein jüngster Sohn erst 16, die beiden Älteren zwar schon Mitte 20, aber noch nicht wirklich gesettelt, ich habe doch noch so viel vor….., das und noch viel mehr kreiste in meinem Kopf, zog mir schier den Boden unter den Füßen weg.
Ich durchlebte Momente von Angst, die ich mir nie habe vorstellen können.
Einen Tag vor der schnell anberaumten Operation war ich zu einem letzten Check im Klinikum. Auf dem Rückweg nach Hause übermannte mich die völlige Verzweiflung. Der Stall, in dem meine Pferde stehen, befindet sich auf der Strecke zwischen Zuhause und der Klinik. Ich bog ab, denn vor lauter Tränen sah ich eh kaum mehr irgendwas auf der Straße und ging zu meinen Pferden auf die Koppel. Sie stehen in einer kleinen Herde.
Sie kamen auf mich zu, als ich weinend in die Koppel ging. Bo, mit 15 Jahren mein jüngstes Pferd, mein spiritueller Begleiter und Kopf meines spirituellen Teams, kam als Erster auf mich zu. Ich lehnte mich an ihn und ließ meinen Tränen und meiner Verzweiflung freien Lauf. Die anderen Pferde kamen ebenfalls herbei und stellten sich um uns herum wie eine Wagenburg, sie bildeten einen Kreis um uns.
So fühlte ich mich geborgen und sicher und konnte mich fallenlassen.
Nach einiger Zeit ging Bo plötzlich weg von mir, ganz langsam, und stellte sich frontal mit Blick zu mir etwa 2 Meter vor mich. Er sah mich an, freundlich, liebevoll und sehr ruhig. Ich war verwirrt, wollte ich mich doch von ihm trösten lassen, seine Wärme spüren, mich anlehnen können. Er aber war weg gegangen und stand nun vor mir, nicht mehr neben mir.
Gedanklich und intuitiv fragte ich ihn: „Warum? Warum gehst du weg und schaust mich jetzt an?“
Bo antwortete: „Denk nach. Da kommst du selbst drauf“.
Ich stand nachdenklich im Kreise meiner Pferde und mein Weinen beruhigte sich, ich begann nachzudenken.
„Bo, was willst du von mir? Ich verstehe es nicht.“
Bo antwortete: „Doch, du verstehst es schon, du weigerst dich, es anzunehmen.“
Ich lies meinen Gefühlen und Gedanken freien Lauf, während ich ganz ruhig dastand, er mir gegenüber, ebenfalls ganz ruhig, die anderen um uns herum. Da ging mir in der Betrachtung meines wunderschönen Pferdes ein Licht auf:
Seine Botschaft an mich war: „Tritt mal einen Schritt zur Seite, Alexandra.
Betrachte deine Situation von außen, aus einer anderen Perspektive.“
Diese Erkenntnis war ein unglaublich wertvolles Geschenk, eine große Erleichterung, wie ein neuer Weg, der sich auftat. Als ich lächelte und nickte setzte sich Bo in Bewegung und stellte sich wieder ganz ruhig neben mich. Ich lehnte mich an ihn und spürte seine Kraft, seine Zuversicht und seinen Trost. So blieben die Pferde und ich noch ein paar Minuten zusammenstehen und dann - wie auf ein geheimes Zeichen – setzten sie sich, einer nach dem anderen, ganz ruhig in Bewegung und gingen grasen. Ich fuhr nach Hause und betrachtete meine Situation aus einer ganz anderen Perspektive.
Die Angst vor der Operation ließ nach, ich begann mich positiv mit der Krankheit Krebs auseinanderzusetzen und versuchte meine Angst in geordnete Bahnen zu lenken. Ich begann die Krankheit als Aufforderung etwas Grundlegendes in meinem Leben zu verändern zu sehen. Ich habe alles gut überstanden und im Alltag kann ich das Bild von Bo, wie er mir gegenübersteht und wartet bis ich verstehe, abrufen und bleibe ruhig.
Ich habe lange überlegt, ob ich diese sehr persönliche Geschichte in unser Buch aufnehme. Am Ende habe ich mich dafür entschieden. Bo’s Botschaft an mich und das Verhalten meiner anderen Pferde an jenem Nachmittag haben die Wochen und Monate mit Operationen und Komplikationen sehr viel erträglicher gemacht.
Diese eine Begegnung hat mir die Kraft und den Optimismus gegeben, den Krebs zunehmend als Projekt, als Aufgabe und als Fingerzeig zu sehen. „Tritt mal einen Schritt zur Seite und betrachte deine Situation von außen, aus einer anderen Perspektive.“ Wie erleichternd, beruhigend und weise.
